G. Stemberger: Juden und Christen im spätantiken Palästina

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Titel
Juden und Christen im spätantiken Palästina.


Autor(en)
Stemberger, Günther
Erschienen
Berlin 2007: de Gruyter
Anzahl Seiten
73 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Max Küchler

Dieses kleine Bändchen (73 S.) des weit bekannten Judaisten Günther Stemberger in der Reihe der «Hans-Lietzmann-Vorlesungen» ist wie ein edler Tropfen im riesigen Keller der wissenschaftlichen Produktion im Bereich des antiken Judentums und Christentums und deren gegenseitigen geschichtlichen Bezogenheit. Stemberger hat sich schon öfters mit dem Thema der «Juden und Christen im Heiligen Land» beschäftigt und dabei einzelne Perioden, besonders das 4. und 5. Jahrhundert, oder einzelne Bereiche der Entwicklung, besonders Galiläa, behandelt (siehe das Vorwort und S. 3, Anm. 5). Die vorliegende Studie ist das gereifte Produkt dieser jahrelangen wissenschaftlichen Arbeit: An den Quellen orientiert, auf die wesentlichen Fragestellungen konzentriert, mit einer magistralen Auswahl zutreffender Literatur und dann in jedem Satz argumentativ behutsam weiterführend wird man da mit der spätantiken Phase der jüdischen und christlichen Geschichte in ihrer schicksalhaften Verwiesenheit bekannt gemacht.

Es hat den Autor schon immer ausgezeichnet, dass er alle zur Verfügung stehenden Evidenzen einbezieht, kritisch gebraucht und trefflich in seine Argumentationen einbaut. Die sehr literaturlastigen Sichtweisen der meisten Publikationen werden bei Stemberger durch die einschlägigen epigraphischen, ikonographischen und besonders archäologischen Einsichten ergänzt und zu einem Gesamtbild gestaltet, das heutigem fachübergreifendem wissenschaftlichen Standard entspricht. In dieser Studie werden einerseits die zeitlichen Grenzen bis ins 7. Jahrhundert, den Beginn der arabischen Herrschaft über Palästina, ausgezogen, andererseits wird der Blick auf die Situation in Palästina gebündelt. Dies vermeidet die grossflächigen und damit immer ungenauen Aussagen der umfassenden Geschichtswerke zum Judentum (solche hat Stemberger auch geschrieben) und erlaubt einen präzisen Blick in die Situation der beiden Religionen im Land ihres gemeinsamen Ursprungs. Dass dabei eine Fülle von Quellen, die den ganzen Zeitraum abdecken, sichtbar wird, wie die Gesetzescorpora des Theodosius und des Justininan einerseits und die Schriften jüdischer Autoren andererseits, ist auch für den Fachmann immer wieder überraschend. Diese Quellen sind allerdings für den Normalverbraucher schwer zugänglich und noch schwerer, kritisch auszuwerten. Auch darin ist diese Studie ein aufgeklärter Führer.

Die Einsichten aus der historischen Forschung (Kap. I) und den literarischen Quellen (Kap. II) werden in kurzen Kapiteln behandelt. Als historische Quellen werden vor allem die genannten Gesetzeswerke unter dem Namen der byzantinischen Kaiser Theodosius und Justinian beigezogen. Es wird daraus deutlich, wie die geschichtliche Entwicklung von einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit zu einer Minderheit eine Folge nicht nur kriegerischer Ereignisse (wie besonders des zweiten jüdischen Krieges, 132–135 n. Chr.) ist, sondern durch gesetzgeberische Verschärfungen, vor allen durch das Aufgeben der speziellen Nennung der jüdischen Religion als einer religo licita und durch die Schwächung, dann Abschaffung des jüdischen Patriarchats bei gleichzeitiger Schaffung des christlichen Patriarchats von Jerusalem gefördert wurde. Korrigierend zu dieser offiziellen Sicht kann dann aber mit dem Blick auf rabbinische Quellen und auf die Ergebnisse der regionalen und lokalen Archäologie Palästinas einsichtig gemacht werden, dass eine erstaunliche Gleichzeitigkeit von Juden und Christen – auch unter der Dominanz der Christen – bestand und ein «tägliches Nebeneinander» angenommen werden muss. Teil III wertet dann ausführlich die für eine Gesamtsicht vernachlässigte, archäologische Erforschung des Landes systematisch aus. Anhand der Synagogen- und der Kirchenbauten der ausgewählten Regionen See Gennesaret, Obergaliläa, Golan, dann Untergaliläa, die Hebron-Berge und der Bereich von Gaza wird die unterschiedliche Mischung von Juden und Christen herausgearbeitet. Die Lektionen der Archäologie, die näher an die historische Realität heranführt, werden hier ernst genommen. Neben Regionen mit zahlreichen Synagogen und praktisch keinen Kirchen, wie Obergaliläa und der Golan, zeichnen sich Untergaliläa mit den kulturellen Zentren wie Sepphoris und Skythopolis/Bet-Schean durch eine völlige Durchmischung der beiden religiösen Gruppen aus. Im Alltag waren Juden und Christen offensichtlich viel toleranter, wahrscheinlich wirtschaftlich auch aufeinander angewiesener, als dies die offiziellen Gesetzestexte oder polemische religiöse Texte nahe legen. Erstaunlich ist auch, dass weit weg vom Zentrum jüdischer Religiosität und literarisch-gesetzlicher Tätigkeit in Galiläa, nämlich im südlichen Judäa, den «Hebron-Bergen», neben den christlichen Kirchen ein ganze Anzahl reich geschmückter Synagogen entdeckt wurde. Hier konnten jüdische Gemeinschaften offensichtlich «in engster Nähe zu christlichen Siedlungen […] bis in die Anfänge des Islam unbehelligt ihre jüdische Identität bewahren und auch wirtschaftlich florieren» (59). Dies kann ebenfalls für die Region von Gaza gesagt werden, auch wenn dort das pagane Element den Christen mehr zu schaffen machte als die Juden, die weiterhin ihre prächtigen mosaikgeschmückten Synagogen bauen konnten, während der berühmte Marnas-Tempel und dessen Kult im 5. Jahrhundert radikal zerstört wurde.

Es ist aber nicht im Sinn dieser Studie, aufgrund archäologischer Befunde eine «idyllisch ökumenische Koexistenz» (72) von Juden und Christen von Konstantin bis Heraklius zu zeichnen. Der Ausbruch brutaler Feindseligkeiten zu Beginn der sassanidischen Zeit (ab 614) macht sichtbar, was da an gegenseitiger Animosität aufgestaut war. Christen und Juden haben jeweils die Gelegenheit der Stunde benutzt, um ihre Dominanz todbringend durchzusetzen. Dabei geben die politischen Ereignisse oft nur den Rahmen ab, in welchem sich ideologische Feindschaften auszuleben versuchen. Wenn dazu noch ein Ausschliesslichkeitsdenken oder eine messianisch-apokalyptische Komponente tritt, ist der Friede, der in der Alltagskulktur dokumentiert bleibt, besonders gefährdet. Auch zu diesem religionsgeschichtlich äusserst wichtigen Problembereich gibt Stembergers Studie zu denken, gerade weil sie historisch und archäologisch ist und bleibt.

Zitierweise:
Max Küchler: Rezension zu: Günther Stemberger, Juden und Christen im spätantiken Palästina, Berlin, De Gruyter, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 305-306.

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